Justice, not charity – für eine Schärfung des politischen Antirassismus

(veröffentlicht im Malmö Magazin)

Ein Bericht von Amnesty International über das Erstaufnahmelager Traiskirchen bestätigt, worauf Geflüchtete und antirassistische Initiativen nicht erst seit heute hinweisen: Der Umgang des österreichischen Staates mit Asylsuchenden verstößt gegen grundlegende Menschenrechte. In der Tat hat die entwürdigende Behandlung von Menschen in Traiskirchen in den Sommermonaten 2015 eine neue Qualität erreicht: Mit 1500 obdachlosen Asylantragssteller_innen, für die angeblich keine Unterkünfte zur Verfügung stehen, ist die Situation deutlich dramatischer als im Jahr 2012 als Geflüchtete mit einem Marsch von Traiskirchen nach Wien protestierten. Gegen diese Zustände regt sich eine Welle der praktischen Unterstützung und Hilfe.

In den Medien sorgen die Lebensbedingungen in Traiskirchen seit Wochen für Schlagzeilen. Dabei wird jedoch zumeist von der falschen Prämisse ausgegangen, dass der Staat durch den großen „Ansturm“ von Geflüchteten „überfordert“ wäre. Dieser „Notstand“ ist politisch gewollt und von den zuständigen Stellen so produziert. Wenn Geflüchtet Glück brauchen um einen überdachten Schlapfplatz mit Bett zu bekommen und die Erfüllung von Grundbedürfnissen zum Gnadenakt werden, dann findet eine Verschiebung von Recht zur Willkür statt und der Minimalstandard wird über Traiskirchen hinaus zum Normalzustand. Für das Innenministerium ist der selbsterzeugte „Notstand“ ein probates Druckmittel für die Umsetzung repressiver Verschärfungen, wie sie in der Asylgesetznovelle im Juli dieses Jahres verabschiedet wurden, für verstärkte Kriminalisierung von sog. „Schlepperei“ und beschleunigte Abschiebungen. Auch innerhalb der EU macht Österreich Druck: für eine konsequentere Umsetzung von „Dublin“-Abschiebungen und die weitere Hochrüstung der europäischen Innen- und Außengrenzen wie auch für eine EU-weite „Verteilung“ von Refugees nach Länderquoten – als neue Form der Beschränkung von Bewegungsfreiheit.
 
Insgesamt erleben wir aktuell im Kontext des Asyl- und Grenzregimes einen Umbau von Staat und Gesellschaft: Wo sich der Staat darauf konzentriert,die Krise repressiv zu regulieren und regieren, reproduziert sich Herrschaft als Beherrschung eines Ausnahmezustandes, der für Asylsuchende keine stabilen Lebensverhältnisse vorsieht. Gehen wir davon aus, dass der Gesamtzustand eines Gesellschaftssystems in verdichteter Form an seinen Rändern zu Tage tritt, fügen sich die Umbrüche im österreichischen Asylsystem in das Paradigma eines neoliberalisierten Kontrollstaates, der zunehmend antidemokratisch und rechtsextrem durchsetzt wird (vgl. „Asylsystem Österreich – Momentaufnahmen einer repressiven Chaotisierung“).
 
Daher ist es umso wichtiger, dass sich solidarisches Handeln mit Geflüchteten nicht auf eine Praxis des Helfens beschränkt. So sinnvoll die aktuellen Initiativen sind, darf trotzdem nicht zugelassen werden, dass der Staat die Verantwortung für Grundbedürfnisse von Menschen auf bürgerschaftliches Engagement abwälzt und menschenrechtliche Ausnahmezustände als Normalstandards festschreibt (vgl. „Der schmale Grat der Hilfe“).
 
Daher gilt es, gemeinsam mit den Geflüchteten für deren Selbstbestimmung, einklagbare Rechte und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe einzutreten. Insbesondere ist das Recht auf Bewegungsfreiheit für Geflüchtete zu fordern – in den Worten von Refugees bei den Demos in Traiskirchen: „Wenn ihr uns nicht hier lassen wollt, dann löscht unsere Fingerabdrücke und lasst uns weiterziehen“. Diese Forderung wurde schon vom Refugee Protest Camp Vienna 2012/2013 erhoben. Insgesamt ist es ein Grundverständnis des politischen Antirassismus, dass Geflüchtete den Asyl- und Migrationsregimes nicht wehrlos ausgeliefert sind, sondern in ihrem individuellen und kollektiven Handeln dieses System tagtäglich herausfordern: Wenn in Traiskirchen hunderte Geflüchtete für ihre Rechte auf die Straße gehen; wenn ein Drittel aller Abschiebeflüge in Österreich durch den Widerstand der Betroffenen abgebrochen wird; wenn Menschen in Mazedonien, Calais oder Ceuta gegen brutale Polizeigewalt die Grenzanlagen durchbrechen, dann sind das Akte des Widerstands gegen ein System, gegen das wir gemeinsam ankämpfen müssen (vgl. „We are here because you destroy our countries“).
 
Die Initiative „Freedom not Frontex:Vienna“ versteht sich als solidarische Verbündete für Forderungen, Proteste und Selbstorganisation von Geflüchteten; Herstellung von Sichtbarkeit ist ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt. Als Antwort auf die Menschenrechtsverletzungen in Traiskirchen wurde aus Schilderungen von Geflüchteten ein eigener Bericht erstellt, der sukzessive in verschiedene Sprachen übersetzt wird.