Der Wiener Gemeindebezirk Ottakring, die Gegend um die Brunnenpassage und die U-Bahn-Linie U6 standen in den letzten Wochen im Fokus der Medien: Als negativer Störfaktor einer vermeintlich idyllischen Gesellschaft wurde so nicht Armut, sondern Arme als Problem dargestellt. Strukturelle Probleme wurden nicht angesprochen, vielmehr ist es nun die Anwesenheit verschiedener als „unerwünscht“ markierter Menschen, die es zu bekämpfen gilt. Zusätzlich dazu werden vermeintliche No-Go-Areas herbeigeschrieben: So werden ganze Viertel, in denen es zwar Probleme gibt, diese aber keineswegs so desaströs sind wie oftmals beschrieben, als nicht mehr betretbar porträtiert. So werden weitere eskalative und repressive Maßnahmen legitimiert.
Diese Dynamiken, die wir in diesem Beitrag analysieren wollen, lassen sich anhand zweier aktueller Geschehnisse beobachten: Zum einen ist da die „Drogendealer“-Debatte rund um die U6, zum anderen die Auseinandersetzungen rund um die kürzlich erschlagene Frau in Ottakring und die darauf folgende versuchte Vereinnahmung dieses Todesfalls durch Rechtsextreme.
Die Debatte über den Drogenhandel Wiens, der sich zunehmend entlang der U6 verlagert, wird zusehends von rechter Seite besetzt: Es werden Katastrophenszenarien phantasiert und der Handel mit Drogen – hierbei kommt es erst gar nicht zu einer notwendigen Diskussion über die wahllose Kriminalisierung bestimmter Substanzen – als ein neues Phänomen präsentiert. Dass Wien eine Großstadt ist und in dieser, wie in jeder anderen, soziale Probleme herrschen, wird ausgespart. Soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit oder kein Zugang zum Arbeitsmarkt werden nicht angesprochen: So ist es nicht die kapitalistische Strukturierung der Gesellschaft, die Menschen ins Elend treibt – es sind die im Elend lebenden Menschen, die zum Problem gemacht werden. Das Symptom wird zum Problem deklariert. Dazu werden rassistische Ressentiments geschürt: Es läge an der ‚inkompatiblen Kultur‘ der ‚Fremden‘, dass es diese Probleme, über die allerdings nicht sie selbst, sondern nur jene, die sie als Folie für rassistische Projektionen nutzen, sprechen dürfen. Von außen kommend zieht es gut situierte, bürgerliche Journalist*innen in die vermeintlich unbewohnbaren Elendsviertel, in denen dennoch so viele leben, die dann vereinzelte Momentaufnahmen der Armut und teilweisen Perspektivenlosigkeit zu einem Bild der verstörenden, nicht auszuhaltenden Katastrophe verknüpfen.
Ja, es gibt Probleme. Diese aber sind keine neuen, keine durch die Anwesenheit von Migrant*innen erzeugte, nicht bewältigbare Katastrophe, wie es sie nur in Wien geben kann. Ein Großteil der Mainstream-Berichterstattung fokussiert aber übertreibend auf eben diese Aspekte, um Bilder eines Viertels zu malen, in dem weitere Polizeieinsätze und verstärkte Repression notwendig sein sollen: Das löst keine Probleme, sondern bekämpft, wenn überhaupt, kurzfristig Symptome. Realistisch hingegen führt die Law-and-Order Politik vor allem zur Kriminalisierung von Armut und rassistischem Vorgehen vonseiten staatlicher Behörden.
Ähnliches zeigt sich auch an der Diskussion und den Konflikten rund um den Todesfall jener Frau, welche kürzlich in der Nähe des Yppenplatzes erschlagen wurde. Es war ein tragischer Fall – der Tatverdächtige ist ein psychisch kranker, obdachloser und amtsbekannter Mann. Die Menschen im Viertel kannten ihn und hätte er rechtzeitig angemessene Behandlung erhalten, wäre es vermutlich nicht zu dem Tod der Frau gekommen. Die rechtsextreme Gruppe „Identitäre“ versuchte, den Tod für rassistische Propaganda zu vereinnahmen, verknüpfte ihn mit den bereits beschriebenen Schreckensszenarien über die Gegend rund um Brunnenmarkt und Yppenplatz und arbeitete daran, ein Bild eines von Migrant*innen bedrohten Österreichs, für das die Metapher Ottakring als düstere Vorahnung herhalten muss, zu produzieren. Bezeichnend ist die rassistische Hetze, die auf den Vorfall folgte: Der Vorfall wurde der Herkunft des Mannes zugeschrieben, rassistische Bedrohungsszenarien von einer ‚kriminellen Überflutung‘ durch Geflüchtete geschürt und einzig die Wiederherstellung eines nie dagewesenen migrationsfreien Österreich als Lösung dargestellt. Daraufhin kündigte die neofaschistische Gruppierung der Identitären Bewegung eine Kundgebung an, im Rahmen welcher die Forderung nach vermehrten Abschiebung an völkisch-nationalistische Propaganda geknüpft werden sollte. Verschiedene linke Gruppen kündigten daraufhin eine Gegenmobilisierung an: Nicht das Gedenken an die verstorbene Frau sollte behindert werden, sondern die Vereinnahmung ihres Todes für rassistische Hetze. Die ‚Mahnwache‘ der Identitären wurde abgesagt, die linke Mobilisierung blieb – nicht zuletzt aufgrund der angekündigten Kranzniederlegung durch einen Rechtsextremen, der diese in ähnlicher Weise wie die Identitären zu instrumentalisieren plante – aufrecht.
Am 8. Mai., dem Tag der Niederlage des Nationalsozialismus in Europa, trafen sich verschiedene antifaschistisch positionierte Gruppen, um legitimen Protest gegen die Vereinnahmung des Todesfalls und des 08.05. für rassistische, neofaschistische und geschichtsrevisionistische Hetze zu bekunden. Die Veranstaltung verlief ruhig, dem Rechtsextremen wurde der Zugang zum Platz verunmöglicht und etwa 100 Menschen zogen im Rahmen einer kleinen Spontandemonstration durch den Bezirk. Gegen Ende der Demonstration kam es zu massivem Polizeiaufgebot: Eine Hundestaffel wurde entsandt, ein Helikopter kreiste über dem Platz und ein Polizeipanzer wurde bereitgestellt. Am nächsten Tag setzte das altbekannte Spiel ein und vonseiten der Medien wurden Klischees und Gerüchte unreflektiert und unbewiesen übernommen: Chaos im Viertel – Baseballschläger – Panzer. Dass der Gedenkort durch die Polizei, nicht durch Demonstrant*innen gestört wurde, es den Baseballschläger nie gab und dieser ein Gerücht war, das vonseiten der Identitären verbreitet wurde, und dass der Panzer nicht das Resultat einer gewalttätigen Demonstration, sondern einer überzogen und eskalative reagierenden Polizei war, wurde verschwiegen. Ottakring wurde nicht bloß als der Bezirk der gewaltbereiten Migrant*innen, sondern auch jener der politischen Eskalation dargestellt.
Anhand dieser Ereignisse und ihrer medialen Verhandlung zeigen sich unseres Erachtens nach problematische Dynamiken, die aus einer linken Perspektive zu behandeln und anders zu besetzen gilt: Es darf nicht bloß reaktiv auf vereinzelte Ereignisse eingegangen werden. Es muss gelingen, die Symptome konsequent in eine Kritik der nationalstaatlich-kapitalistischen Strukturierung der Gesellschaft einzubinden. Dazu gehört auch, sich nicht der fatalistischen und dramatisierenden Beschreibung armer Viertel hinzugeben, sondern Ursachen zu benennen: Rassismus, Kapitalismus, Ungleichheit und Ausgrenzung. Soziale Probleme werden nicht gelöst, indem weiter gegen jene, die sich diesen konfrontiert sehen, vorgegangen wird, sondern indem Strukturen, die diese hervorrufen, bekämpft werden!